Rom: Beginn der europäischen Vorherrschaft

Rom: Beginn der europäischen Vorherrschaft
Rom: Beginn der europäischen Vorherrschaft
 
Rom begann seine Geschichte wie viele Griechenstädte und Karthago als Stadtstaat. Aber es ging früh seinen eigenen Weg. Am Ende hatte es ein für die Ewigkeit gedachtes Weltreich geschaffen, das die Ränder dreier Kontinente miteinander verband: Südeuropa, Asien und Nordafrika. In seinem Zentrum lag das Mittelmeer, lagen mit Rom, Konstantinopel, Jerusalem und Alexandria alle Weltstädte der damals bekannten Erde. Seine letzte historische Leistung vollbrachte es unter Konstantin dem Großen, als es das Bündnis mit dem gekreuzigten Gott schloss und den christlichen Missionaren die Tore Europas öffnete.
 
 Die Einigung Italiens
 
Von seiner ersten Stunde an war Rom gezwungen, sich in Italien mächtiger äußerer Gegner zu erwehren. Der Krieg entschied über sein Schicksal. Er begann in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. mit den Kämpfen gegen die Völker Mittel- und Süditaliens, und er endete nach 250 Jahren mit der Unterwerfung der keltischen Stämme in Oberitalien. In diesen langen Jahren glanzvoller Siege und demütigender Rückschläge festigte sich der Machtanspruch der Nobiles, der adligen Führer, die immer die Herren des Krieges blieben und von Sieg zu Sieg ihre Autorität steigerten und schließlich unanfechtbar machten. So brach Rom früh das Experiment der Volksherrschaft ab und überließ die staatliche Gewalt seinen im Senat versammelten Eliten. Ihre Freiheit, als Diener des Gemeinwesens zu tun, was ihnen beliebte, wurde identisch mit der Freiheit der Republik.
 
Im Schatten von Krieg und Eroberung entwickelte Rom auch die Herrschaftsinstrumente, die ihm Italien dienstbar machten: das Municipium, die Kolonie und das Bündnis. Der Status eines Municipiums verpflichtete die Einwohner besiegter Städte, ihr künftiges Leben als römische Bürger zu führen, ihre inneren Angelegenheiten jedoch selbsttätig zu regeln. Kolonien, gegründet an allen strategisch wichtigen Orten der Halbinsel, sicherten als Miltärfestungen den Bestand der römischen Herrschaft. Auf ewig abgeschlossene Militärallianzen schließlich zwangen die Wehrfähigen der besiegten Stämme zum Dienst in den römischen Legionen. Mit dieser Ordnung war der Weg frei, auf dem Italien zu dem einheitlichen Land lateinischer Sprache und Kultur fortschritt, als das es seither gilt.
 
 Die Gründung des Weltreichs
 
Der Griff zur Weltmacht begann mit den Kriegen gegen Karthago 264-201 v. Chr. und gipfelte in den folgenden beiden Jahrhunderten in der Eroberung des östlichen Mittelmeers und seiner Anrainerstaaten; Pompeius zog die Grenze nach Osten am Euphrat und markierte damit zugleich den Verzicht Roms auf den Besitz der Staaten des Mittleren Ostens. Damit war der Weg frei zur Eroberung der großen Binnenräume Mittel- und Westeuropas. Den Anfang machte Caesar mit der Unterwerfung Galliens, ihm folgten die Generäle des Augustus, die 30 Jahre lang Germanien, die Alpenvölker und die Donaugebiete mit Krieg überzogen. Ihre Siege veränderten den Charakter des Imperiums als ein auf das Mittelmeer zentriertes Weltreich. Künftig lag sein militärischer Schwerpunkt an Rhein und Donau, und die dortigen Grenzprovinzen forderten vorrangig die ordnende Hand Roms.
 
Auf seinem Siegeszug durch den Mittelmeerraum lernte Rom, große Gebiete in Besitz zu nehmen und als Provinzen einzurichten. Wer dort lebte, tat es als Untertan und gehorchte einem von Rom entsandten Statthalter, der alle militärische und zivile Gewalt in seiner Hand hielt. Mit ihm hatte Rom eine Ordnung gefunden, die es gestattete, große Ländermassen auf Dauer zu beherrschen und dort auch die in Italien erprobten Herrschaftsformen anzuwenden. Widerstand erstickte der Stiefel des Legionärs. Am Ende beugten Apathie und Resignation die Provinzialen und rang ihnen die Einsicht ab, sich einer römisch gewordenen Welt anpassen zu müssen.
 
Als der letzte Gegner niedergerungen war, oblag Rom die Versöhnung zwischen Siegern und Besiegten. Denn seine Herrschaft konnte nur Bestand haben, wenn die Unterworfenen ihre Leiden vergaßen und alle ihre Hoffnungen und Energien letztendlich doch auf das Imperium richteten. Der Tag kam, als sich mit Augustus die schwere Hand des Monarchen auf die adligen Barone der Republik legte und ihre Raubgier zügelte, die die Provinzen ruiniert hatte. Alles Weitere folgte der Logik der politisch und zivilisatorisch überlegenen Macht Roms: Im Westen des Reiches erhielten um Rom verdiente einheimische Städte den Status eines Municipiums, während neu gegründete städtische Vororte (Civitates) die bezwungenen Stämme an die mediterrane Lebensart heranführten. Im Osten behielten die Städte ihre Eigenständigkeit und den Stolz auf ihre griechische Vergangenheit. Für alle galt ein einfacher Grundsatz: Wer treu zu Rom hielt, bekam das römische Bürgerrecht und war fortan in der Pflicht, seine Landsleute loyal an Rom zu binden; als Lohn warteten eine glanzvolle Karriere innerhalb des Reichsregiments, soziale Anerkennung und die Versorgung mit Land und Ehrenstellen.
 
Am Ende waren die meisten bereit, das Imperium gegen jeden Gegner zu verteidigen. Denn es umspannte die Grenzen der Zivilisation und ließ ihre Segnungen zur vollen Entfaltung kommen: die griechische Kultur, die sie in sich aufnahm, die mediterrane Stadt in der Gestalt von Municipium, Kolonie und Civitas, ein Regierungssystem, das die Selbstorganisation der Gesellschaft und die Freiheit der Städte förderte, und eine Ideologie, welche die Eliten zwang, dem Imperium zu geben, was immer es verlangte.
 
 
Rom hat seinen europäischen Erben nur wenig direkt übergeben können. Was in Südosteuropa und im Vorderen Orient von ihm geblieben war, wandte unter der Führung von Byzanz sein Gesicht nach Osten. Im Westen ging es im 5. Jahrhundert unter, auch wenn die Vision von der »Renovatio imperii«, das heißt von der Wiederaufrichtung der universalen Herrschaft eines von Gott eingesetzten Kaisers, als politische Losung immer neu beschworen wurde. Niemals wieder sollte der Palatin in Rom, dort, wo Gras über die Trümmer der kaiserlichen Paläste des Augustus und seiner Nachfolger wuchs, Sitz eines Kaisers werden. So verblasste unter der Herrschaft germanischer Könige, byzantinischer Kaiser und islamischer Kalifen die Erinnerung an ein Weltreich, das seinen Untertanen Frieden, Wohlstand und Recht für immer versprochen hatte. Was davon noch Fleisch und Blut besaß, verkörperte in den Augen der Nordvölker die christlich-katholische Kirche: Allein ihre Würdenträger vermittelten römisches Recht und römische Verwaltungspraxis, allein die Autorität des Papstes erinnerte an den universalen Machtanspruch des Kaisers, allein die Bibel und die Texte der lateinischen Kirchenväter sprachen von Bildung. Aber es waren eben doch nur Bruchstücke einer versunkenen Welt.
 
Die Ersten, die zu ihrer Wiederentdeckung aufbrachen, waren die Dichter und Gelehrten des 14. Jahrhunderts. Es war nicht die Leidenschaft des Forschers, die sie trieb, sondern der Eifer des Weltverbesserers. Denn jedes dem Vergessen entrissene Wort diente als Anklage gegen die Tradition und als Rechtfertigung eines neuen Weges in die Zukunft. So feierte die Renaissance alle in diesem Geist vollbrachten Totenbeschwörungen als einen Akt der Selbstfindung, über den die »aus dem Grab ans Licht« gebrachten Klassiker als neue Heilige wachten.
 
Der Vorgang wiederholte sich in den kommenden Jahrhunderten in immer neuer Gestalt. Bald erfasste er alle Bereiche der Literatur, der Kunst, der Philosophie und des Rechts. Vor allem aber steigerten die auferstandenen Römer ihre öffentliche Macht. So standen sie im 18. Jahrhundert den Revolutionären Frankreichs bei der Suche nach einer neuen Republik zur Seite und halfen einen passiven Untertan in einen aktiven Bürger zu verwandeln. Jenseits des Atlantiks beugten sich die Väter der amerikanischen Verfassung über Cicero, während die Architekten die Hauptstadt Washington als das Rom der Neuen Welt bauten. Und am Ende stellte sich auch der zentralistische Kaiserstaat Frankreichs als legitimer Nachfolger des römischen Kaiserreiches vor. Napoleon, aufgebrochen, um ein neues Weltreich zu schaffen, hüllte sich in die Erinnerung an Augustus: Auch dieser hatte seine Herrschaft der Armee verdankt, auch er hatte seinem Reich Gerechtigkeit, Ordnung, Frieden und Dauer gegeben.
 
Prof. Dr. Werner Dahlheim

Universal-Lexikon. 2012.

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